Energieversorger brauchen in stürmischer See unternehmerische Flexibilität

Erstellt von: Iñaki Merkel de Gurtubay und Dr. Christoph Merkel, Merkel Energy GmbH, Essen

Der deutsche Energiemarkt hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Seit Beginn der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte hat ein teilweise abrupter Wandel stattgefunden mit einem massiven Preis- und Margenverfall. Dabei ist uns eine Vielzahl an Faktoren begegnet, die das operative Geschäft der Energieversorger betreffen. In den Bereichen Strom und Gas stechen zwei wesentliche Markttreiber heraus, mit denen wir uns im Folgenden auseinandersetzen werden.

Fragmentierung der Kundensegmente wird zu einem immer wichtigerem Markttreiber im Wettbewerb

Mit der Marktöffnung hat sich das Kundenumfeld sowohl bei Privat-, Gewerbe- als auch bei Industriekunden stark fragmentiert. Ein Ende dieser Entwicklung sehen wir nicht. Die divergierenden Fakten haben dabei nicht nur Einfluss auf die klassischen Kernprodukte der Versorger sondern führen auch zu einer Evolution des Leistungsportfolios.

 

So gibt es auf der einen Seite die Kunden, die für ihren Energieverbrauch und dessen Kosten nur wenig Interesse aufbringen. 2014 waren das hauptsächlich Haushaltskunden, bundesweit immerhin noch zu 33% in der Grundversorgung Strom und zu 24% in der für Gas.

 

Auf der anderen Seite gibt es die preissensitiven Kunden mit hoher Wechselbereitschaft. Dies betrifft in erster Linie die Gewerbe- und Industriekunden. Von denen hatten 2014 bereits über 99% einen Wechsel der Strom- und Gasverträge vollzogen. 66% von ihnen hatten zu dem Zeitpunkt darüber hinaus einen dritten Strom- und 67% einen anderen Gasanbieter.

 

Auch preissensible Haushaltskunden hatten bereits zu 43% die Strom- und zu 57% die Gasverträge beim angestammten Versorger gewechselt. 24% der Haushalte hatten zudem einen anderen Stromlieferanten und 19% einen anderen Gaslieferanten.

 

Parallel dazu gibt es Kunden, die bereit sind für erneuerbare Energien (Ökostrom oder Ökogas ) ein Premium zu zahlen, bevorzugt mit regionaler Marke. Lag der Anteil 2010 bundesweit noch bei ca. 6%, erreichte er 2013 bereits ca. 12,5%. Das ökologische Engagement geht sogar vermehrt über den reinen Strom- und Gasverbrauch hinaus und wird vermehrt von Unternehmen (z.B. von Konsumgüterherstellern) auf den Kraftstoffverbrauch in der Logistikkette ausgeweitet.

 

Ein weiteres noch verhältnismäßig kleines und immer wichtiger werdendes Segment sind die Kunden, die ihren Strom eigenerzeugen. Allein 8% verfügten 2013 über eigene Photovoltaik- oder KWK-Anlagen.

 

Die hier abgebildeten Segmentierungen der obersten Ebene könnten wir nach Belieben verfeinern und vertiefen, zeigen aber anschaulich die divergierenden Tendenzen auf. Die Entwicklung der Kundensegmente beeinflusst nicht nur den Kern des Vertriebs, sondern betrifft auch die komplette vorgelagerte Wertschöpfung.

Ordnungspolitische Maßgaben setzen den Rahmen für die Geschäftsmodelle

Zusätzlich zu den kundenspezifischen Interessen sehen wir, wie in allen Bereichen der Wertschöpfungskette von Produktion über Netze und Handel bis hin zum Vertrieb die gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben im schnellen Wandel immer engere oder neue Rahmenbedingungen hinsichtlich der Ausgestaltung und Erfolgsaussicht von Geschäftsmodellen stecken.

 

So sind in der Stromproduktion neue Vorgaben aus EEG, KWKG oder Strommarktgesetz maßgebend bei der Auswahl der Technologie und Betriebsführung und beeinflussen nicht zuletzt auch die Meritorder des Erzeugungsportfolios und somit den Wert der langfristigen Investitionen. Lag der Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung 2010 noch bei 17%, waren es 2015 bereits 29%. Mittelfristig soll gemäß EEG der Anteil bis 2025 auf knapp 45% ansteigen, um 2050 dann 80% zu erreichen.


Im Bereich Netze erfolgten wesentliche regulatorische Änderungen beispielsweise mit dem flächendeckenden Roll-out von Smart Metern im Rahmen des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende. Dieser betrifft die schrittweise Umrüstung und Datenkommunikation ab 2017 von ca. 43 Millionen Messstellen für Strom und weiteren 14 Millionen für Gas in Deutschland. Die im Gasnetz bevorstehende komplette Umstellung von L-Gas auf H-Gas ist zwar nicht regulatorisch getriggert, benötigt aber allein bis 2025 knapp 5 Mrd. Euro und muss parallel, einschließlich der Herausforderungen knappen Knowhows und verfügbarer Fachkräfte, von den Netzbetreibern gestemmt werden.

 

Durch die Finanzkrise verschärfte Finanzmarktregeln treffen Energieversorger gleich in zweifacher Weise. Einerseits engen Änderungen an Basel III mit der Capital Requirement Directive (CRD) den Finanzierungsspielraum von Banken (dem klassischen Kapitalgeber) ein. Der erschwerte Zugang zum Kapitalmarkt wiegt gerade vor dem Hintergrund des gesteigerten Investitionsbedarfs (knapp 19 Mrd. Euro allein für den Ausbau erneuerbarer Energien in 2014) schwer.

 

Andererseits werden die für den Energiehandel vereinbarten Ausnahmeregelungen bei CRD, MiFID, REMIT oder REMIR im Zuge der Umsetzung europäischen Rechts kontinuierlich reduziert. So laufen bspw. Ende 2017 Ausnahmeregelungen hinsichtlich den Eigenkapitalanforderungen für Energiehändler und Versorgungsunternehmen aus.

 

Im Gegensatz dazu hat es in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenige Veränderungen im Energievertrieb gegeben. Wenn dann zielten diese mit den Initiativen EEG, EDL-G, NAPE vor allem auf Marktnischen wie z.B. Contracting, Mieterstrom oder Energieeffizienz ab. So erwirtschaftet der gesamte Teilmarkt Contracting (Wärme, Strom und Kälte) in 2012 gemäß einer Umfrage von Prognos nur 3 bis 4 Mrd. Euro Umsatz. Der Markt für Mieterstrom befindet sich trotz 1,5 Millionen geeigneten Mietwohnungen zurzeit noch in der Pilotphase.

Während die Regulierung hohen Umsatzaufwand verursacht, wächst das Geschäftsrisiko durch das Regulierungsrisiko

Angesichts des hohen Regulierungsgrads der Strom- und Gasmärkte ist es nur nachvollziehbar, dass bei Versorgern Unsicherheiten entstehen, wenn zu regulierende Bereiche aufgrund fehlender oder sich schnell ändernder Vorgaben undefiniert oder instabil sind. Fehlende Sicherheit in Bezug auf die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen erschwert es den Versorgern erheblich, sich erfolgreich zu positionieren, weshalb diese im Umkehrschluss zögern werden, Investitionen zu tätigen bzw. neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Allein 2016 sind sechs umfängliche Regelungswerke novelliert bzw. umgesetzt worden: EEG 2017, Strommarktgesetz, Digitalisierungsgesetz, Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz 2016, Anreizregulierungsverordnung, Bundesbedarfsplangesetz. Wir bezweifeln, ob dabei Gesetzgeber und Regulierer die eingeschränkte Anpassungskapazität der Organisationen der kommunalen Unternehmen ausreichend im Auge haben.

 

Die gemischte Bilanz der Energiewende ist ein gutes Beispiel. Trotz sehr hoher Investitionen in erneuerbare Stromerzeugung konnten die CO2 Emissionen in Deutschland bis 2015 ggü. 1990 nur um knapp 15% reduziert werden. Seit 2009 hat es im Durchschnitt sogar einen leichten Anstieg gegeben (+4%). Im Gegensatz dazu haben andere Länder mit einfachsten Mitteln ihre Emissionen reduziert (z.B. Großbritannien -44% ggü. 1990 und -31% ggü. 2010). Wir sind überzeugt, dass eine Neuorientierung in Deutschland unumgänglich ist. Aber niemand weiß, was politisch umsetzbar sein wird.

 

Die größten Regulierungsrisiken bestehen in den Bereichen Produktion und Netze. Allein die bisherigen gesetzlichen Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz alle 2-3 Jahre und die Ankündigung des Strommarktdesigns 2030 sowie weiterer Initiativen zeigen auf, dass die vielfältigen Novellierungen in 2016 nur eine kurze Haltwertzeit haben werden. Eine Planbarkeit von Investition mit 10, 20 Jahren Laufzeit oder mehr ist nur begrenzt gegeben. Andererseits fehlen marktnahe Anreizmechanismen für dezentrale Einspeisung oder Entnahme zur Stabilisierung der Netze, obwohl Politik und Wissenschaft bereits von einer Prosumer-Welt schwärmen. Heute administrativ definierte Mechanismen entsprechen nicht den realen Netzkosten und müssen in einem immer flexibleren Energiemarkt unweigerlich angepasst werden. Der Ausbau intelligenter Netze wird von der heutigen kostenorientierten Anreizregulierung behindert.

 

Unsicherheiten betreffen auch den Handel. Neue Anforderungen aus dem sogenannten Basel IV hinsichtlich der Bemessung des Kreditrisikos sind in Vorbereitung, wo sogar die Anforderungen von Basel III noch nicht einmal vollständig wirksam geworden sind. Für die Unternehmensfinanzierung werden hierdurch die bestehenden Herausforderungen verstärkt. Und auch bei MIFID II gilt aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

Im Vertrieb ist vor allem Erdgas mit fundamentalen regulatorischen Unsicherheiten behaftet. Mit dem Klimaschutzplan 2050 steht der Ausstieg aus fossilen Energieträgern für die Wärmeerzeugung bevor. Dies entspricht ca. 80% des gesamten Erdgasverbrauchs, ca. 60 Mrd. Kubikmeter. Höhe und Fristen sind unbekannt, ebenso in welchem Umfang erneuerbares Erdgas Eingang in die künftige Energiewelt finden wird. Die Implikationen würden sich auf die gesamte vorgelagerte Wertschöpfung auswirken. Aber es bestehen auch kurzfristige Unsicherheiten obwohl der Planungshorizont immer kürzer wird. So steht z.B. die Fortschreibung der Steuerermäßigung für Erdgas als Kraftstoff nach 2017 noch aus während das Verkehrsministerium verstärkt den Einsatz von Erdgas als alternativen Treibstoff im Verkehrssektor fordert.

Fundamentale und schnelle Marktänderungen erfordern hohe und nachhaltige Flexibilität als Grundvoraussetzung für unternehmerischen Erfolg

Bedingt durch verändertes Kundenverhalten und regulatorische Vorgaben entfallen zum einen klassische Einnahmequellen, zum anderen entstehen neue Marktnischen, die aufgrund gesenkter Eintrittsbarrieren, neuer Technologien bzw. Geschäftsmodelle durch neue Marktakteure oder durch sich neu orientierende Versorger besetzt werden und sich in wachsender Wettbewerbsintensität niederschlagen.

Niemand kann mit Sicherheit die künftigen Entwicklungen der oben aufgeführten Markttreiber oder die technologischen Innovationen und europäischen bzw. globalen Energiemarkttrends voraussagen. Aber wie auch immer gestaltet, sie werden kommen.

 

Wir erachten vor dem Hintergrund schneller, fundamentaler und schlecht vorhersehbarer Umwälzungen für die Versorger unternehmerische Flexibilität als eine zentrale Herausforderung.

 

Diese betrifft sowohl das am Markt angebotene Leistungsspektrum als auch die entsprechende Leistungserbringung, sprich interne Abläufe, Zulieferer, IT-Systeme und Organisationstrukturen. Die Herausforderung ist umso größer, wenn man bedenkt, dass der Wandel in der Energiewirtschaft erst seit wenigen Jahren eine erhöhte Veränderungsbereitschaft von den Versorgern erfordert, während in der Vergangenheit kommunale Strukturen und langfristige Investitionszyklen stabile Strukturen begünstigt haben.

 

Wir empfehlen das persönliche Engagement und Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen, da sie für den Erfolg zukünftiger Änderungen im Unternehmen entscheidend sind. Nur bei gegenseitigem Vertrauen, können Veränderungen erfolgreich angestoßen und verwirklicht werden. Mitarbeiter sind das wichtigste Gut. Sie für sich und seine Strategien zu gewinnen, entscheidet über den Erfolg! Denn ähnlich wie beim Fußball sind Wechsel während des Spiels nur begrenzt möglich und daher flexibel einsetzbare und überzeugte Spieler entscheidend!

 

Versorger müssen dafür sorgen, intern Anpassungsgeschwindigkeit und –aufwand angemessen zu halten. Dazu trägt zum einen eine selbstbewusste und offene Unternehmenskultur für Innovationen bei. Diese muss auch durch flexible Projekt- und Organisationsstrukturen zur Umsetzung und Integration neuer Geschäftsmodelle gestützt werden. Grundlage für eine flexible Organisationsstruktur ist vor allem das erforderliche Knowhow bereit zu stellen bzw. die Mitarbeiter zu trainieren. Multitasking und abwechslungsreiche Aktivitäten sollten nicht nur in IT-Startups eingesetzt werden, sondern müssen verstärkt in der Energiewirtschaft Eingang finden.

 

Es sind klare Entscheidungen zu treffen, welche Leistungen der Wertschöpfungskette selber erbracht werden. Zum einen kann niemand alles aus einer Hand erbringen und zum anderen gibt es erhebliche Unterschiede was die Wirtschaftlichkeit und Risiken der einzelnen Leistungspakete betrifft. Gezieltes In- und Outsourcing auch in Form von Kooperationen steigern die Wettbewerbsfähigkeit.

 

Der IT-Landschaft kommt als technisches Rückgrat der Leistungserbringung eine zentrale Rolle zu. Zum einen muss diese möglichst schlank aufgestellt sein, um Datentransparenz und Abwicklungsgeschwindigkeit hoch, Fehlerquellen und Handling-Kosten niedrig zu halten. Zum anderen müssen Systeme aber auch genügend Flexibilität aufweisen, um gerade in den Nischenmärkten individualisierte Produkte wirtschaftlich abbilden zu können. Die Schnittstelle aus geschäftlicher und systemtechnischer Strategiefestlegung spielt hierbei eine kritische Rolle.

 

Die erforderlichen Investitionen in den angesprochenen Netzausbau und –umbau, in erneuerbaren Energien, ggf. in Contracting-Anlagen, in IT-Anpassungen, etc. sind kapitalintensiv. Begrenzte Investitionsmittel, bedingt u.a. durch niedrige Margen in einem intensiven Wettbewerb, machen nicht per se niedrige sondern vor allem steuerbare Kapitalbindung erforderlich. Gerade die Unsicherheiten im Energiemarkt, erfordern eine flexible Disposition von Kapital.

Zielgenaue Maßnahmen mit engagiertem Handeln kombinieren

Als Boutique Beratung im europäischen Energiemarkt befassen wir uns mit den Herausforderungen unserer Kunden mit Schwerpunkt Vertrieb und Handel. Wir hören nicht nur unseren Kunden zu, um ihre Herausforderungen im Detail zu kennen. Wir leben auch unsere Devise der Flexibilität vor. Wir ergänzen unsere begrenzten Ressourcen durch Kooperationen mit anderen Unternehmen und erfahrenen Partnern.

Wir unterstützen unsere Kunden, Potentiale neuer und bestehender Geschäftsfelder zu analysieren und zu quantifizieren sowie daraus resultierende Synergien zu bewerten. Darüber hinaus begleiten wir unsere Kunden bei der Konkretisierung des künftigen Leistungsspektrums, bei der Ableitung von Maßnahmen sowie bei der Entwicklung von Steuerungsinstrumenten.

 

Um dem bestehenden Geschäft neue Denkanstöße zu verleihen oder um sicherzustellen, dass gemeinsam entwickelte Ergebnisse nachhaltig wirken, unterstützen wir die Weiterbildung unserer Kunden und seiner Mitarbeiter durch fachspezifische Schulungen sowie Führungs- und Verhandlungsseminare.


Wir setzen unseren Erfolg mit der Kundenzufriedenheit gleich. Wir begleiten, falls gewünscht, unsere Kunden bis zur Umsetzung, um den Projekterfolg sicherzustellen und scheuen uns nicht, Teilbereiche schlüsselfertig zu liefern.

Im November 2016

 

Inaki Merkel de Gurtubay     Dr. Christoph Merkel